Außergewöhnliche Künstlerinnen und Künstler treffen sich derzeit einmal pro Woche mit Kunstschulpädagogin Waltraud Kaiser in der Musik- und Kunstschule Winnenden: Melanie, Nermin, Iris, Arthur, Marc, Nikolaus und Stelios sind blind oder stark sehbehindert und zusätzlich auch gehörlos. Trotzdem malen sie auf den ersten Blick wie andere Maler auch. Assistiert werden sie von drei Schülern des Georg-Büchner-Gymnasiums aus Winnenden. Für die Zehntklässler Fabian, Marvin und David ist das eine ganz neue Erfahrung, obwohl es nicht das erste Kunstprojekt ist, an dem sie teilnehmen: „Wir haben letztes Jahr bereits mit dementen Menschen im Pflegeheim gemalt. In diesem Jahr hat uns Frau Kaiser gefragt, ob wir nicht mit taubblinden Menschen kreativ sein wollen“, berichten die Gymnasiasten. Lange haben die drei Schüler nicht überlegt und so standen sie schon bald den Bewohnern aus der Paulinenpflege gegenüber.
Waltraud Kaiser geht es beim Projekt mehr als um gemeinsames Kreativsein, ihr Motto: „Wenn wir zusammen malen, können wir zusammen leben!“ Und so beginnt der gemeinsame Abend schon beim Abholen der Künstler vor Ort. Fabian, Marvin und David holen die taubblinden Menschen direkt an der Wohngruppe ab. Am Anfang war das ungewohnt, inzwischen läuft das alles fast schon routinemäßig, berichtet Marvin: „Ich weiß worauf ich achten muss. Das was wir sehenden und hörenden Menschen gar nicht bewusst wahrnehmen, z.B. da kommt ein Treppenabsatz, hat für Arthur oder Marc eine ganz andere Bedeutung. Ich muss sie darauf aufmerksam machen.“
Im Künstler-Zimmer der Musik- und Kunstschule Winnenden geht es dann auch sehr geordnet zu. Jeder taubblinde Künstler hat seinen festen Platz und auch die Stifte und Farben sind an einem bestimmten Platz. Wohngruppen-Betreuerin Miriam Kießecker erklärt: „Für unsere Bewohner ist es wichtig, dass immer alles an der selben Stelle steht. Wichtig ist auch, dass wir nicht einfach etwas auf dem Boden liegen lassen. Das sind für Menschen mit Sinnesbehinderung gefährliche Stolperfallen. Diese Sicherheitsregeln sind unsere Bewohner auch von der Wohngruppe gewöhnt. Gut ist auch, dass sie in diesem Kunstprojekt über einen längeren Zeitraum die selben Bezugspersonen haben.“ Und so fühlen sich die taubblinden Menschen aus der Paulinenpflege sichtlich wohl und können ungezwungen kreativ sein.
Marc malt zum Beispiel mit Vorliebe Busse, denn die sind sein Hobby. Seinem Assistenten vom Georg-Büchner-Gymnasium sagt er welche Farbe er will. „Marc hat früher mal gesehen und ist erst nach und nach erblindet. Daher weiß er genau, welche Farbe er für welches Motiv möchte“, sagt Miriam Kießecker. Iris malt vor allem lustige Motive, zum Beispiel Sonnen mit Sonnenbrillen. Auch bei allen anderen geht es sehr farbenfroh zu.
Dem Betrachter zeigen sich wunderschöne Bilder, die gute Laune aufkommen lassen. Kunstschulpädagogin Waltraud Kaiser ist begeistert: „Es ist unglaublich, wie viel Lebensfreude die taubblinden Menschen aus der Paulinenpflege ausstrahlen – mit ihren Kunstwerken und auch mit ihrem Verhalten. Obwohl sie durch ihre Sinnesbehinderung Einschränkungen haben, wirken sie überhaupt nicht eingeschränkt – im Gegenteil: Von diesen Menschen kann man viel lernen. Ich gehe hier nach dem Projektabend immer glücklich raus!“
Und so ist es eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten an diesem außergewöhnlichen Kunstprojekt. Betreuerin Miriam Kießecker freut sich über die Entfaltungsmöglichkeiten ihrer taubblinden Bewohner: „Für unsere Betreuten ist der Donnerstagabend in der Kunstschule ein absolutes Highlight. Sie freuen sich schon die ganze Woche darauf. Es ist schön, wie durch das Projekt Talente neu entdeckt oder gefördert werden. Es tut allen gut und fördert das Selbstbewusstsein.“ So wird auch schon überlegt, wo die Gemälde ausgestellt werden können. Die taubblinden Menschen sind zudem ganz pragmatisch und überlegen, welchen Freunden oder Familienangehörigen sie welches Bild schenken werden. Außerdem ist geplant, dass das frisch renovierte Esszimmer auf der Wohngruppe mit den Werken der Künstler gestaltet wird.
Gefördert wird das Projekt vom Lokalen Aktionsplan Winnenden, der Projekte für Toleranz, Vielfalt und Demokratie unterstützt, sowie vom Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.