Ungewöhnliche Töne um 9 Uhr morgens vor dem Heinrich-Bässler-Haus in Winnenden – es sind traurige Saxophon-Klänge vom Stück „Donna Donna“ von Joan Baez zu hören. Am Holocaust-Gedenktag wird der Song, der auf den Transport von Menschen in Konzentrationslager anspielt, von Vorstand Andreas Maurer vorgetragen. Am 27. Januar 1945, also vor 80 Jahren, wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Und die Paulinenpflege gedenkt mit einer Andacht der Opfer des Nationalsozialismus – auch der sieben Bewohnerinnen und Bewohner der Paulinenpflege, die in Hadamar ermordet wurden. Unter dem Vorwand, sie machen nur einen Ausflug, wurden die ahnungslosen Menschen mit Behinderung am 10. März 1941 in einem „schönen Omnibus“ (so eine damalige Mitarbeiterin) abgeholt.
„Wir wissen nicht, ob damals in der Paulinenpflege weggeschaut wurde, als 1941 sieben Menschen mit Behinderung abgeholt und ermordet wurden. Aber wir wissen, dass wir heute nicht mehr wegschauen dürfen, denn es fängt schon wieder an mit Ausgrenzung und Hass gegen bestimmte Personengruppen in Deutschland. Die ermordeten Paul Bretschneider, August Göhner, Maria Ruoff, Eva Schittenhelm, August Schwarz, Paul Wagner und Walter Ziegler erinnern uns daran, dass so etwas nie wieder zulassen dürfen“, sagt heute Morgen unser Vorstand Andreas Maurer bei einer Gedenkandacht an die Opfer des Nationalsozialismus.
Daher wollen wir auch heute noch diesen Opfern auch ein Gesicht geben – leider haben wir nicht von allen ein Foto. Auf den Schwarzweiß-Bildern sind Paul Brettschneider, Walter Ziegler und Paul Wagner zu sehen. Paul Wagner schreibt noch eine Postkarte aus der „Heilanstalt“ an die Paulinenpflege: „Mir geht es gut, ich arbeite in der Gärtnerei, denke oft an Euch u. habe nur einen Wunsch, bald wieder nach W. zurück zu dürfen. Walter Ziegler ist mit mir zusammen im gleichen Haus. Vielleicht dürfen wir Beide bald wieder zurück reisen. Ich wünsche Euch allen Gesundheit u. grüße herzlich! Euer Paule Wagner“. Am 16. Juni 1941 wurden beide in Hadamar getötet. Die anderen fünf Bewohnerinnen und Bewohner der Paulinenpflege wurden bereits am 31. März 1941 umgebracht.
Von allen Ermordeten aus der Paulinenpflege gibt es in Winnenden an der Ringstr. 106 Stolpersteine. Wir haben dort heute sieben Nelken niedergelegt. Falls Sie in der Nähe sind, nehmen Sie sich gerne ein paar Minuten Zeit… Danke!
„Wir gedenken heute der 6 Millionen Juden, die in Konzentrationslagern ermordet wurden, der getöteten Sinti und Roma, der ermordeten Homosexuellen, der umgebrachten Menschen mit Behinderungen, der ermordeten psychisch Beeinträchtigten, derer, die um ihrer religiösen und politischen Überzeugungen sterben mussten und wir bitten, dass wir unsere Geschichte wachhalten und dass die Erinnerung daran uns Motivation zum Handeln ist. Wir bitten Dich, dass wir heute widerstehen, wenn andere uns Verantwortung abnehmen wollen, wenn Weggucken leichter als Eingreifen ist, wenn Anklage unmenschlichen Verhaltens unangenehmer ist als Schweigen. Amen.“